Einen ersten Eindruck vom heutigen Zustand des Gehöftes des Wilhelm Wagenzik vermögen die Karten der OpenStreetMap zu geben, wenn denn freundliche polnische Mitwir­kende aus der Umgebung Klein Laskens Hand angelegt und den Karten somit Lokal­kolorit, eben die ört­liche Färbung, gegeben haben sollten - und sie haben es:

Die weitere Umgebung Klein Laskens - heute
© OpenStreetMap-Mitwirkende

Den Text in Rot habe ich ergänzt, er bezieht sich auf den histo­rischen Kontext.

Die Kleinbahn fährt wieder auf ihrer schmalen Spur, von Lyck bis Vierbrücken, als Attrak­tion für die Besucher; ehedem fuhr sie in einem großen Bogen weiter über Helden­felde, Bor­schimmen, Dreimühlen und Millau bis Auersberg an der damaligen polnischen Grenze.

Und da, wo die Schmalspurbahn ihre Fahrtrichting nach Nordosten ändert, ist ein Feldweg, gestrichelt und in Hellbraun, einge­zeichnet, der zu einem offenen, nord­westlich aus­ge­rich­teten Vier­seithof führt, hier durch 'Bauer Wagenzik' gekenn­zeichnet. Der Volltreffer!

Ein Hinweis: Die anderen Wohnhäuser im Dörfchen Klein Lasken selbst sind - zu sehen nur in grö­ßeren Maßstäben der Karte - durch ihre Haus­nummern gekenn­zeichnet, Grund­riss und Aus­rich­tung der Gebäude bleiben daher verborgen, dieses gilt auch für die 'Inst­häuser', die die Haus­nummer 30 und 31 tragen (könnten).

Die engere Umgebung des Gehöfts - heute
© OpenStreetMap-Mitwirkende

Weil es so schön ist, noch einmal in zehnfacher Vergrößerung die engere Umgebung des Gehöftes. Das Wohnhaus trägt die Hausnummer 32. Die Bedeutung des durch­gezogenen hell­braunen Linien­zugs gleich rechts von der Hof­anlage hat die Legende leider nicht offen­bart. [Im »Meß­tisch­blatt Kölmers­dorf« gäbe es eine Entsprechung im Karten­bild, allerdings ist auch dort die Inter­pretation offen. Ob damit der Umriss des Obst­gartens gemeint sein könnte?]

Falls Sie die Umgebung Klein Laskens weiter auf den Karten von Open­Street­Map erforschen wollen, und wer will das nicht? - Sie ge­langen über diese Verknüp­fung »Klein Lasken auf OpenStreetMap« dorthin.

Die Koordinaten des Wohnhauses in geo­grafischer Länge und Breite in Bogen­grad sind laut Open­Street­Map: (Länge | Breite): (22,5365° | 53,7781°). Laut? Ja doch, bei Koor­di­na­ten­an­ga­ben im Nach­komma­bereich vertraue nur den amtlichen Karten der Landes­vermes­sungs­ämter.


Die Hofanlage Ende der neunzehn­hundert­dreißiger Jahre - gestern

Die Skizze entstand während meiner Besuchs­wochen in Essen Anfang der 2000'er Jahre nach den Worten meiner Mutter Hilde, Tochter des Wilhelm Wagenzik. Das 'Meß­tisch­blatt Kölmers­dorf' half bei der Aus­richtung der Gebäude. Norden zeigt nach oben.

Der Fußweg nach Nordosten führte über den Acker zum Feldweg nach Klein Lasken, das noch in Sichtweite vom Hof der Wagenziks liegt. Die Kinder sind sicherlich diesen Weg zur einklassigen Dorfschule gelaufen, weniger als 2 km sind es bis dorthin.

Der Torf in der Torfgrube wurde gestochen, gestapelt und getrocknet; damit wurde der Herd in der Küche und der Kachelofen im Wohnbereich befeuert.


Blick auf die vier Hofgebäude von Süden her - heute

Mein erster Eindruck beim Betrachten der Foto­grafien war Erschre­cken, denn ein blühen­des Anwesen sieht anders aus, nicht so, wie sich das Bild nach den Erzäh­lungen der Mutter in der Vorstel­lung geformt hatte. Aber es gilt zu beden­ken, dass die Gebäude doch immerhin fast 100 Jahre über­standen haben, 1924 hatte Wilhelm nach dem Kauf des Grund­stücks zuerst das Wohn­haus, dann die Ställe zur Rechten und zur Linken neu erbaut, denn von den über­nommen­den Bauten war nur die Scheune "gut im Stande" gewesen.

Hier in meiner Nachbarschaft fallen nach und nach die einfachen Vorkriegs­häuser dem Abriss­bagger und der Verges­senheit anheim, nicht zu unrecht, denn die Ansprüche an ein Haus haben sich mit den Wirt­schafts­wunder­zeiten der Nach­kriegs­zeit doch erheblich verändert, also sollte ich mich freuen, doch noch einen Eindruck von dem erhalten zu können, was der Groß­vater für seine Familie Back­stein für Back­stein aufgebaut hat.


Die Hofseite des Wohnhauses mit Obstgarten und Hoflinde - heute

Mit diesem morschen Baumstumpf in Gestalt des Rübezahls mit hochgerecktem Arm und abstehenden Büschelhaaren und dieser nur halb abgebrochenen Ruine samt pittoreskem Torbogen, damit hat dieses Bild einen Hauch von Caspar David Friedrich.

Die dekorative Ruine ist der ehema­lige Kuh­stall, er ist verkauft worden und dient nun dem neuen Besitzer als Stein­bruch. Wie wurden die Besitz­verhält­nisse eigent­lich in der Nach­kriegs­zeit dort in Masuren neu geordnet? Oder nach dem Fall des Eiser­nen Vor­hangs?

Was ich hier mit 'Veranda­tür' beschriftet habe (so meine Mutter), war der Sonntags­eingang hinein in die Wohn­stube des Hauses. Sie war durch einen Wind­fang, durch einen kleinen über­dachten Vorbau aus Holz und Glas geschützt, sodaß die kalte Luft des Winters nicht in die warme Stube ein­dringen konnte und Gäste des Hauses nicht durch die Küche in die Stube gelei­tet werden mussten. Einen durch­gehenden Haus­flur mit abge­henden Türen zu den Räumen gab es bei dem engen Grund­riss nicht, Zimmer waren auch Durch­gangs­zimmer.

Dieser vorgebaute Windfang war der Blickfang, war auffällige Zierde dieses schlich­ten Hau­ses, das »alte Foto« im winter­lichen Ost­preußen zeigt es.


Die Hofseitenfront des Wohnhauses - heute

Ein kleines, altes und herunter­gekommendes Hutzel­häuschen ist das, aus moder­nen Materia­lien sind, abgesehen von der Satel­liten­schüssel an der Hau­swand, die wahrhaft häß­liche Haustür und die Fenster mit den aufge­klebten Zier­sprossen (wie ich annehme).

Wilhelm selbst gibt die Maße des einge­schos­sigen Wohn­hauses mit 10x15 Meter an, den Keller mit 5X15 Meter. Die viel­köpfige Familie Wagenzik lebte also auf hoch­gerechnet 150 m²; nun denn, die viel­köpfige Familie Ragutt lebte in der Nach­kriegs­zeit in Essen auf gut 80 m², eine Zeit­lang logierte sogar ein Unter­mieter mit in der Wohnung.

Der linke Schornstein gehört zum Küchen­herd und dem kleinen Ofen im Schlaf­zimmer der Jungen, der rechte Schorn­stein sorgt im Kachel­ofen für den nötigen Luft­zug, um Rauch und Abgase nach draußen zu beför­dern. Der Kachel­ofen wärmte gleich drei Zimmer, das Schlaf­zimmer der Mädchen blieb ungeheizt.

Was sich hinter den roten Ziegeln verbarg, zeigt eine »Skizze«, nach den Worten meiner Mutter ange­fertigt - sie lag mürrisch drein­blickend auf dem Sofa und verstand nicht so recht, warum der Sohn so neu­gierig in den scheinbar längst vergan­genen Zeiten nach­bohrte. Die Kinder werden erst neu­gierig, wenn es zu spät ist. Als Jung­spund, mit Flaum am Kinn, habe ich die Groß­eltern Wilhelm und Marie auf Geheiß der Eltern hin einige Tage in Timmen­dorf besucht, ich habe nicht gefragt, die beiden auch nicht, das waren zwei Welten, die nichts Gemein­sames zu haben schienen. Meinte doch der Opa, der Weiß­kittel im Fernseh­grät würde genau ihn an­schauen und ihm allein die Arznei anprei­sen, ich konnte nicht wider­sprechen.

Brüchige Dachfirstziegel des Satteldaches wurden wohl nie fach­gerecht ersetzt, sondern einfach, wie es gerade kam, mit Zement zugepappt. Meine Mutter spräche da, wie es in ihrer Kind­heit und Jugend­zeit so üblich war, von "pol­nischer Wirt­schaft"; nun denn, die Polen - die Mutter sprach meist nur im Singular von den Polen: "der Pole", in der Mehr­zahl waren es "die Polacken", gut, dass die Kinder schon euro­päisch dachten - die Polen also, die nach der Vertrei­bung der Deutschen in Masuren ange­siedelt wurden, waren selbst meist völlig mittel­lose Kriegs­flücht­linge, waren selbst aus ihrem ange­stammten Gebiet in Ostpolen vertrieben worden, welches nun als Kriegs­beute von 'dem Russen' (so der Vater) bean­sprucht wurde.

Zwei windschiefe Gesellen, der eine groß, der andere klein, fallen ins Auge: Sind es schlanke Thujen oder doch Gemeiner Wacholder? Die Hauswand zeigt an der Ecke einen langen Riss, viel­leicht hat in den letzten Kriegs­monaten der Einschlag eines Geschos­ses hier ein Loch gerissen und die Pflanzen schief gestellt?


Vergangene Pracht, vergangener Blumenschmuck - heute

Der männliche Bewohner des Hauses ist jüngst verstorben, das Haus soll verkauft werden, so schrieb Paweł Nowicki. Bei dem tristen Umfeld und dem in die Jahre gekom­menden, her­unter gekom­menden Gemäuer werden die Interes­senten wohl nicht in Schlange anstehen.

Lackschäden an Autos werden hinge­bungs­voller ausge­bessert als Schäden im Mauer­werk, über die offenen Mauer­fugen an der rechten Haus­ecke ließe sich mit leichter und lieb­loser Hand noch etwas Zement verschmieren.

Das Wohnhaus ist laut den Angaben Wilhelms unter­kellert, neben dem mit Pflanzen­resten gefüllten, glän­zenden Zink­eimer dürfte einmal ein Licht­schacht für Licht und Luft im Keller gesorgt haben, nun ist er behelfs­mäßig mit Mauer- und Dach­steinen bedeckt, das Keller­fenster dürfte zersprungen sein.

Ich frage mich, wo denn der Treppen­abgang in den Keller sein könnte? Außen ist er auf den Bildern nicht auszumachen und im Innern fehlt der Platz für die steile Stiege hinab in den Keller - viel­leicht ist äußere Zugang ja auch zuge­schüttet.


Die Rückseitenfront des Wohnhauses - heute

Die äußere Hausseite, orientiert nach Nord­osten zum Acker und zum Ort hin, präsen­tiert sich ganz ansehn­lich mit einem intakten Mauer­werk und hohen, geglie­derten Fenstern, die zum Baustil des Hauses passen und diesem ein strenges Gesicht geben. Aller­dings zeugen die Fenster nicht von einem leben­digen Leben, sie sind seltsam blind, wie zugeklebt, zugemalt, oder spiegelt sich nur der dunstige Abend­himmel in ihnen?

Die »Skizze« zeigt noch einmal das Innenleben des Hauses, zeigt, was sich hinter den Fenstern dereinst verbarg.

Das dünne, runzlige Obstbäumchen hat seine Zweige retten können, die lange Latte könnte zu einem Obst­pflücker gehören. In seinem Geäst hat sich eine Plastik­flasche verfan­gen, vom starken Nord­ost­wind hinge­tragen? Der struppige Boden­bewuchs sieht nach einer ver­wil­der­ten Wiese aus, immer­hin wäre das Im Sommer ein grüner (und kein grau­öder) Kontrast zur roten Back­stein­wand.

Wie man hier schön sieht, steht das Haus auf einem ursprüng­lich unver­putzten Sockel aus verfugten großen Natur­steinen. Auf diesem Fundament setzt die Back­stein­mauer auf mit einer Reihe hochkant gestellter Mauer­ziegel, Schicht für Schicht werden dann die Steine im Block­verband gesetzt, in der einen Schicht werden die Steine längs gelegt, in der nächsten quer - das ist der Block­verband des Mauer­werks. Einfach kann auch schön sein - und bleiben, wenn nicht offen­sicht­liche Stümper zu Werke gehen.

Der Fotograf knipste der Perspek­tive nach zum Haus hinauf, stand also etwas unter­halb des Hauses, die Jahres­zeit war ja nicht danach, es im Grün liegend zu foto­grafieren. Das Gehöft dürfte daher auf einer kleinen Anhöhe gerade­wegs am Hang liegen.


Fernblick auf die Hofanlage von Norden her - heute

Ein Blick vom Acker nördlich der Hofanlage in Richtung Süden - die unter­gehende Sonne spiegelt sich rund in einem der beiden Giebel­fenster des Dach­bodens des Wohn­hauses. Hier sieht man sehr schön, dass die Umge­bung sanft hügelig gewellt und auch recht kahl und ausge­räumt ist. Hecken und Gesträuch braucht das Land, auch hier und dort.

Links im Bild erkennt man gerade noch im Pixel­sumpf den Mast und die Strom­leitung, die das Haus mit Elektri­zität versorgt.

Der Acker ist nur grob umge­brochen, wo bleibt die Winter­zwischen­frucht? - als Grün­dünger, um das Erd­reich mit Humus anzurei­chern, als Boden­decker zum Schutz der Erd­krume vor Sonne, Wind und widrigem Regen­wetter?

Das schlanke, windschiefe, das Haus knapp über­ragende Nadel­gehölz zur Linken markiert ja vor­trefflich die Hof­anlage, schon von weitem ist es so zu erkennen; die gegen­über liegende, nord­westliche Giebel­seite des Wohn­hauses wird dagegen geschützt durch eine Reihe von aller­dings nur halb­hoch gewach­senen Koni­feren, viel­leicht sind es noch recht junge Bäume, oder das rauhe, schon kon­tinen­tale Klima mit kalten langen Wintern lässt sie nur langsam wachsen.


Dem Erdboden gleichgemacht: Insthäuser - heute

Der Großvater schrieb Werkwohnung, die Mutter nannte sie »Insthäuser« (die Wiki­pedia klärt die ehedem im Norden geläu­figere Bezeich­nung auf). Wilhelm baute ein Haus und eine Scheune abseits vom Gehöft auf der anderen Seite der Klein­bahn, für die Familien seiner drei Land­arbeiter je eine Wohnung mit drei Zimmern. Das nenne ich für­sorglich.


Referenzen

Aktuelle Karten: © OpenStreetMap-Mitwirkende, »Urheberrecht und Lizenz«
Die gezeigten Kartenbilder sind Ende des Jahres 2018 erstellt worden.

Historische Karten:
• Kreis Lyck, 1:100000, (Zusammendruck 1939 aus der Karte des Deutschen Reiches 1:100000), © Institut für Angewandte Geodäsie
• Meßtischblatt Kölmersdorf, 1:25000, 1938, © Bundesamt für Kartographie und Geodäsie

Fotos vom Gehöft: © Paweł Nowicki, 2018, mit seiner freundlichen Genehmigung hier gezeigt. Die Fotografien sind Anfang des Jahres 2018, im Spätwinter, aufgenommen worden.


Eine kurze Zeitreise in die Vergangenheit

Wilhelm Wagenziks Lebenslauf in eigenen Worten, angereichert mit meinen nichtigen Beigaben, finden Sie hier:

»Lebensbilder - Wilhelm Wagenzik«